Klimawandel, die Russlandkrise und globale Spannungen – vieles, was die Allgemeinheit in diesem Jahr beschäftigt, wirkt sich auch auf die Automobil- und Mobilitätsindustrie aus. In einer Welt, in der man nicht auf kontinuierliche Stabilität zählen kann, muss umgedacht werden, z. B. im Hinblick auf Lieferketten-Mechanismen und verwendetes Material. Die Klimakrise addiert sich dazu und fragt gleichzeitig nach dem Nachhaltigkeitsaspekt, der schon längst kein bloßer Trend-Gedanke mehr ist, sondern in Zukunft nicht mehr wegzudenken sein wird.
Rund 80 internationale Experten sind zu unserem fünften Deutsch-Amerikanischen “Mobility Dialogue” zusammengekommen, um nachhaltige und resiliente Zukunftsszenarien für diese Industrie aufzustellen und zu diskutieren. Und das waren unsere Kernthemen und Key Learnings:
Die Nachhaltigkeit
Elektroauto anschaffen und damit hat es sich? Ganz so einfach ist es nicht. Es muss sich was im großen Ganzen ändern – dazu muss an jeder Stellschraube gedreht werden. Die Infrastruktur ist ein weiteres Problem, und zwar flächendeckend und bereichsübergreifend. Angefangen bei der Lieferkette muss sich gefragt werden, wo das Material überhaupt herkommt, und unter welchen Bedingungen es hergestellt wurde. Die Infrastruktur ist auch im Hinblick auf die Resource Wasserstoff ein Problem. Wasserstoff, darüber herrschte weitesgehend Konsens – bildet eine sinnvolle Alternative im Kampf gegen Emissionen. Hier ist allerdings momentan das System noch nicht soweit ausgebaut, als dass es flächendeckend eingesetzt werden könnte. Auch das nachhaltige Recyclen von verwendeten Batterien steht zur Debatte; General Motors neue Generation an Batterien stellt ein Versuch da, die Kobaltmenge in den Batterien deutlich zu reduzieren. Das kommt nicht nur der Nachhaltigkeit zu Gute, sondern spart auch Kosten ein (die üblicherweise an den Verbraucher weitergegeben werden).
Das System
Das System muss sich ändern, so viel steht fest. Es bedarf einen einheitlichen Ansatz, um Nachhaltigkeit global zu denken und vor allem umzusetzen. Auch hier muss an verschiedenen Stellschrauben gedreht werden, um Nachhaltigkeit mit einer resilienten Praxis in Einklang zu bringen. Wo also am besten anfangen?
- Der Verbraucher
Zuallererst muss der Verbraucher überzeugt werden, alternativ zu denken. Es braucht finanzielle und andere Anreize, um nicht nur die sogenannten early adopters, sondern vor allem die Mainstream-Nutzer für beispielsweise Elektrofahrzeuge zu begeistern und eine schnelle Akzeptanz in der Bevölkerung zu erzielen. Ein Ansatz könnte sein, direkt mit den Verbrauchern zu sprechen und zu fragen, welche Wünsche und Bedürfnisse sie eigentlich haben. Oder vielleicht auch erst einmal anzuerkennen, was sie überhaupt bereit sind an Maßnahmen umzusetzen und die Umsetzung dieser so einfach wie möglich gestalten. Wichtig ist, kostengünstige und zuverlässige Lösungen anzubieten, die jedoch auch nur in einer ausreichend ausgebauten Infrastruktur (z. B. genügend Ladestationen für Elektrofahrzeuge) umzusetzen sind.
- Die Industrie
Die Unternehmen der Autobobil- und Mobility-Branche müssen zur Verantwortung gezogen werden.
We have 8 years to determine the next 100 years.
Nun ist der ideale Zeitpunkt, um soziale KPIs zu formulieren, die diejenigen Unternehmen belohnt, die diese Standards umsetzen. Unternehmen, die ihren Mitarbeitenden nachhaltige und grüne Optionen bieten, also z. B. ein Firmenfahrrad statt einer S-Klasse.
- Die Herangehensweise
Zudem müssen mehr Arbeitskräfte konkret auf das Ziel hin ausgebildet werden, neue CleanTech-Lösungen zu entwickeln. Es müssen mehr Jobs im Bereich CleanTech geschaffen und neue Karrierewege auf diesem Gebiet möglich gemacht werden, vor allem für unterrepräsentierte Gruppen wie den black und brown communities. Neben den sozialen KPIs ist Transparenz wichtig, um den Wandel hinzubekommen. Plattformen wie Cantena-X helfen dabei, Industriedaten auszutauschen und dadurch nachhaltige und einheitliche Industriestandards zu errichten.
Die (internationale) Zusammenarbeit
Damit sich das System ändern kann, ist es essentiell, an einem Strang zu ziehen und global zusammenzuarbeiten. Auch wenn viele Automobilhersteller Nachhaltigkeit in ihrer Strategie bereits verankert haben und wie bei BMW klare Ziele in diesem Bereich verfolgen (50 % der globalen Umsätze aus dem Verkauf von Elektrofahrzeugen bis 2030), ist es wichtig, dass weltweit Kooperationen (wie z. B. zwischen BMW und Toyota im Bereich Fuel Cells) enstehen, um an einer gemeinsamen und flächendeckenden Infrastruktur zu arbeiten. Kein Unternehmen wird es schaffen, das Nachhaltigkeitsproblem allein zu lösen. Oder wie es Frank Menchaca von SAE International am Eventabend ausdrückte:
We should not compete on how to recycle a battery, nor how to reduce emissions. Then we’ve already lost.
Stattdessen sollte man sich auf einen Aktionsplan einigen, der auf keinem Wettbewerb basiert.
Interessant ist, dass das europäische Modell offener ist, mit Zulieferern zusammenzuarbeiten, als es in den USA der Fall ist. Auf der anderen Seite gilt insbesondere Kalifornien als Vorreiter, was die weitgehende Entwicklung und auch Akzeptanz von Nullemissionsfahrzeugen angeht. So auch Kaliforniens Bestreben, bis 2035 nur noch elektrische Neufahrzeuge verkaufen zu wollen. Eine große Diskrepanz zum restlichen Land, das immerhin 50 % bis 2030 anstrebt. Kalifornien ist dahingehend also weltweit ein absoluter Trendsetter und man kann nur hoffen, dass ihm der Rest der Welt etwas nacheifern wird.
Damit Elektrofahrzeuge Nachhaltigkeit vorantreiben können, muss natürlich auch die Energiequelle sauber und nachhaltig sein. Dort gehen sowohl Kalifornien als auch Deutschland mit positivem Beispiel voran. Beide Länder verfügen nämlich über reichlich Windkraft- und Solaranlagen. Hier liegt sicherlich auch die Chance einer internationalen Zusammenarbeit: Voneinander lernen und Stärken zusammenschließen. Denn so wenig ein Elektrofahrzeug allein ausrichten wird, so wenig hört Nachhaltigkeit an einer Ländergrenze auf.