Autonomes Fahren verspricht seit seiner Erfindung einen disruptiven Wandel, der das Transportwesen vor allem einfacher, sicherer und nachhaltiger machen soll. Innovative Konzepte für die Mobilität der Zukunft gab es schon immer. Mobilität einfacher, sicherer und nachhaltiger machen wollten auch Ridesharing-Anbieter wie Uber und Lyft. Mit ihrem damals sehr innovativen Ansatz hatten sie sich publikumswirksam hohe Ziele gesteckt, um die gesamte Transport- und Mobilitäts-Industrie in Frage zu stellen. Nahbar wollten sie sein – günstig, einfach zugänglich und das vor allem für jeden. Nicht nur die Industrie sollte von diesem Geschäftsmodell profitieren, sondern diesmal auch die breite Masse. Zudem stellten sie sich einem Problem, das nun Autonomes Fahren wieder aufgreift, nämlich dem Thema Akzessibilität, vor allem im ländlichen Raum.
Besonders Uber wollte das Prinzip “Von der Gesellschaft für die Gesellschaft” salonfähig machen und diese dazu befähigen, selbst von diesem innovativen Geschäftsmodell, das schon Airbnb bezogen auf den Wohnungsmarkt etabliert hatte, zu profitieren. Doch was ist davon übrig geblieben? Steigende Preise für die End-User, weniger Gewinn für die Uber-Driver – ein leeres Versprechen, nach mehr als 10 Jahren seit Unternehmensgründung?
Autonomes Fahren steht kurz vor dem Durchbruch des Masseneinsatzes. Deshalb ist es wichtig zu diskutieren, wie wir sicherstellen können, dass die Technologie der Gesellschaft einen echten Nutzen bringt und unser Transportwesen wirklich nachhaltig verbessert.
Genau das wollten wir mit echten Vorreitern und langjährigen Experten der Autonomes Fahren-Industrie in Silicon Valley und Deutschland erkunden. Auf unserer Transatlantic Autonomous Driving-Konferenz haben wir unter anderem mit Christoph Keller, Senior Manager Business Development bei Aurora, Stacey Randecker, Co-Host bei The Flying Car und Julian Bartsch, Senior Manager bei Zoox, diskutiert.
Wie haben wir uns diesem Thema nun angenähert? Um zu beurteilen, ob Autonomes Fahren der Gesellschaft wirklich nachhaltig nutzen wird, muss man zuerst einmal die Frage stellen, welche Bedürfnisse in der Gesellschaft überhaupt bestehen.
Bedürfnisse in der Gesellschaft
Hier konnte uns William Riggs, Associate Professor an der University of San Francisco, in seiner Keynote einige interessante Aufschlüsse geben. In seiner Studie ‘Trip patterns & experiences in Autonomous Vehicles” hat er untersucht, auf welche Transportmittel Studierende zurückgreifen und in welchen sozialen Settings das geschieht. Besonders interessant waren hierbei die Randzeiten des normalen Studentenalltags, wenn keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr zur Verfügung stehen und leicht zugängliche Fortbewegungsmittel wie z. B. das Fahrrad aus Sicherheitsgründen nicht mehr genutzt werden. Die größte “Transportlücke” entstand demnach in den späten Abendstunden und nachts sowie am sehr frühen Morgen. Riggs Umfrage unter den Studierenden ergab, dass die Hälfte auf autonome Fahrzeuge zurückgreifen würden, um während dieser Zeit, in der andere Transportmöglichkeiten wie Bus, Tram und Bahn oder auch Fahrrad bzw. eigenes Auto nicht zur Verfügung stehen bzw. in Frage kommen, weiterhin mobil zu bleiben. Die Studie bewies weiterhin, dass Autonomes Fahren dafür sorgen könnte, dass Menschen, die nur eingeschränkten Zugang zu alternativen Transportmöglichkeiten haben, also zum Beispiel im ländlichen Raum, oder auch zu Randzeiten, eher auf soziale Interaktionen verzichten, wenn sie dafür auf Transportmittel angewiesen sind. Oder andersherum ausgedrückt: Hier könnte Autonomes Fahren ins Spiel kommen, zumal die Bereitschaft, dies in einer solchen Versorgungslücke zu nutzen, von 50 Prozent der Befragten bestätigt wurde.
Wie schafft es Autonomes Fahren nun, diese Bedürfnisse zu befriedigen?
Schauen wir uns nochmal im Detail an, welche Vorteile Autonomes Fahren konkret mit sich bringt. In der Panel-Diskussion, geleitet von unserem Moderator Sven Beiker, Gründer und Geschäftsführer bei Silicon Valley Mobility, kamen folgende Punkte zur Sprache:
- Sicherheit
Fahren wird dann sicher, sobald man den Menschen aus der Gleichung entfernt.
Diese zugegebenermaßen drastische These schienen unsere Experten zu unterstützen, allen voran Stacey Randecker, die mit Vorliebe den bereits in San Francisco fahrenden autonomen Fahrzeugen zuschaut, wie sie ihr Netz kontinuierlich erweitern und die Technik immer weiter dazu lernt. Sie gab zum Besten, dass sie bereits ihr Auto verkauft hat und es gerne sehen würde, dass ihre Tochter keinen Führerschein macht, da die kalifornischen Straßen kein sicheres Pflaster für sie bedeuten. Verschiedene Studien belegen, dass die Zahl der Verkehrstoten weiterhin konstant hoch hist und die künstliche Intelligenz, die autonome Fahrzeuge steuert, ein viel verlässlicherer Partner ist, was Sicherheit im Straßenverkehr angeht. Oder um es mit Randeckers Worten zu sagen:
Ich vertraue Waymo und Zoox mehr als jedem menschlichen Fahrer.
Stacey Randecker, The Flying Car
- Effizienz
Die Technik, die in autonomen Fahrzeugen verbaut ist, sorgt auch für eine gesteigerte und optimierte Effizienz, und dies in vielerlei Bereichen. Konkret nannten unsere Experten beispielsweise die Parksituation, die sich besonders in Metropolen immer weiter zuspitzt. Autonome Fahrzeuge können geschickt im 45 Grad-Winkel jede noch so enge Lücke ansteuern, ohne umständliches Manövrieren, da die Technik hier jedem noch so geübten Fahrer voraus ist. Auch andere Szenarien wie Doppel-Parken oder Ein- und Aussteige- bzw. Ein- und Auslade-Szenarien werden durch autonomes Fahren immens vereinfacht.
- Akzessibilität/Zugänglichkeit
Wie schon das soziale Experiment von William Riggs an der University of San Francisco gezeigt hat, sind autonome Fahrzeuge eine mögliche Lösung für Menschen, die nur eingeschränkt mobil sind. In diesem Zusammenhang können sie vielen Menschen dienen und in verschiedenen Situationen zum Einsatz kommen, in denen es zu einer Versorgungslücke kommt, sei es in ländlichen Gebieten, während Randzeiten, oder in anderen sozialen Settings, wie zum Beispiel bei Alkoholeinfluss oder um den Bedürfnissen älterer (oder auch jüngerer) Menschen gerecht zu werden, die auf Hilfe angewiesen sind. Damit verbunden ist auch das höhere Service-Level, das autonome Fahrzeuge bieten können. Wenn man selbst nicht mehr darauf konzentriert sein muss, was auf der Straße vor einem so passiert, ergeben sich völlig neue Möglichkeiten. Auch Minderjährige wären nicht mehr auf fahrende Begleitpersonen angewiesen, vor allem in Ländern, in denen die Fahrerlaubnis erst mit 18 Jahren erteilt wird, ein entscheidender Vorteil.
Nun, da wir uns die Vorteile, die Autonomes Fahren mit sich bringt, angeschaut haben, müssen wir außerdem einen Blick drauf werfen, welche Voraussetzungen denn überhaupt dafür gegeben sein müssen, damit diese Vorteile auch zum Tragen kommen können.
Was braucht es, um autonomes Fahren erfolgreich umzusetzen?
Zunächst vor allem eins, laut unserer Keynote-Sprecherin Annie Lien, Deputy CEO bei LinAi und Co-Gründerin und CEO bei Stealth: Daten. Eine Menge Daten. Die sind nötig, um die künstliche Intelligenz der selbstfahrenden Fahrzeuge zu füttern, damit diese sicher, zuverlässig und nachhaltig von A nach B kommen können und dem Menschen auch wirklich dienen können. Smart Data nennt sich das und dort gibt es momentan leider noch Nachholbedarf bzw. einfach eine zu geringe Datenmenge, um Autonomes Fahren flächendeckend zu ermöglichen. In den nächsten Jahren wird es vor allem darum gehen, die richtigen Daten zu sammeln und zu evaluieren, um AI-Produkte und Machine Learning für autonomes Fahren belastbar zu machen. Davon betroffen sind auch die Daten, die für Sprachassistenten wie Siri oder Logistikprozesse benötigt werden.
Aber nicht nur die Technik muss folgen können, sondern auch die Menschen selbst. Dafür ist laut Julian Bartsch ein sogenannter Cultural Shift nötig: Man muss die Gesellschaft auf Autonomes Fahren vorbereiten. Wenn manche noch zögern, zu einem “Fremden” in ein Uber zu steigen, wie ist es dann erst, wenn gar kein Mensch mehr im Auto sitzt und man sich der Maschine damit völlig “übergibt”?
Was schließen wir nun aus unserer Diskussion? Zunächst einmal ist nicht von der Hand zu weisen, dass Technologie uns eine Reihe an Möglichkeiten verspricht, die wir vorher nicht hatten. Angst davor zu haben braucht man nicht, da die Datenlage kontinuierlich verbessert wird und sicherlich auch noch einen gewissen Weg zu gehen hat, bevor Autonomes Fahren so sicher ist, dass wir uns beruhigt in die Hände eines selbstfahrenden Autos oder Busses begeben können.
Wie lautet das Resümee unserer Experten – was braucht es, um das Konzept Autonomes Fahren erfolgreich umzusetzen und Mobilität diesmal wirklich neu zu denken? Hier sind sich unsere Experten einig: Es muss eine kontinuierliche Diskussion stattfinden, nicht nur mit den beteiligten Unternehmen der Mobilitätsbranche, sondern auch mit der Politik. Damit Technologie und Gesellschaft diesmal Hand in Hand gehen können.
Lust, bei unserem nächsten Mobility-Event selbst mitzudiskutieren?
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